Dienstag, 30. November 2010

So nicht, Herr Marti

Manchmal ist es frustrierend, wenn man sich die Mühe nimmt, ein Thema mal detailliert aufzuarbeiten - und als Reaktion eine Polemik in drei Worten erhält.

So viel vorweg: Die Funktion eines Zensurbeamten liegt mir nicht. Darum bin ich auch durchaus zurückhaltend, wenn es um die Löschung von Kommentaren auf meinem Blog geht. Wenn aber auf meinen umfangreichen Text "Der Westen, die Freiheit und der Islam - eine überfällige Replik" eine Reaktion in bloss drei Worten erfolgt, die keinerlei Substanz enthält, dafür aber durchaus beleidigend ist, dann lösche auch ich. Schliesslich bin ich hier so etwas wie der Hausherr im eigenen Blog - und Gäste haben sich zu benehmen (oops, das erinnert mich jetzt schwer an Födlibörger-Sprüche nach dem Ja zur Ausschaffungsinitiative, aber das ist wieder eine andere Baustelle, wie Giovanni sagen würde).

Ein gewisser "Marti", der sich heldenhafterweise auch noch hinter einer nicht existierenden Webadresse versteckt, hatte für meine Replik genau drei Worte übrig:
"Dummer, wirklichkeitsblinder Artikel!"

Leider kann ich ausser einem Mangel an Ausdrucksvermögen aus diesen drei Worten keine konkreten Anhaltspunkte für Kritik entnehmen. Aber ich kann spekulieren, dass der besagte "Marti" sich seine Wahrheit wohl aus anderen Medien zusammen sucht als ich. Schliesslich ist Wirklichkeit, wenn sie so komplexe Themen betrifft, in aller Regel medial vermittelt und nicht das Resultat eigenen Erlebens.

Dass "Marti" seinen Kommentar-Schiss anonym hinterlässt, spricht zudem dafür, dass "Marti" im Klartext keine Eier hat, sondern allenfalls welche legt - ein Chicken halt, ein Hühnchen, das gagaga-gackert, aber nicht zu seinen Worten stehen mag. Das passt zu Leuten, die sich ihr Weltbild aus Ängsten, Vorurteilen und Halbinformationen zusammen zimmern. Mich motivieren Leute wie "Marti" nur umso mehr: Ihnen ist kein Fussbreit nachzugeben in der öffentlichen Debatte, ihre Demagogie muss genauso aufgedeckt werden wie ihre Halbwahrheiten. Das Spiel mit dem religiösen Hass ist zu unverantwortlich, um nicht dagegen aufzubegehren. Und da sind die Gemässigten aller Seiten gefragt, um die Extremisten in die Schranken zu verweisen.

Montag, 29. November 2010

Der Westen, die Freiheit und der Islam – eine überfällige Replik

Die Saat von George W. Bush geht auf: Zwar ist der Texaner längst zum Ex-Präsidenten und Memoiren-Schreiber geworden, aber viele kleine Dschordsch-Dabbeljuhs führen sein Werk weiter.

Wir gegen sie, Freiheit gegen Sklaverei, Zivilisation gegen Barbarei, Moderne gegen Mittelalter, christlicher Westen gegen die muslimische Welt: Das waren die Frontlinien, wie sie George Bush im Nachgang von 9/11 auf den rauchenden Trümmern der Twin Towers verkündete. Flugs fand sich dieses dichotome Feindbild in den Berichten zahlloser „embedded correspondents“, aber auch in vielen Produkten Hollywoods wieder – von TV-Serien wie 24 bis zu verschiedenen Spielfilmen, ganz zu schweigen von kruden Machwerken, die im Internet zirkulieren. Muslime, mehr noch die Araber ersetzten die bösen Russen – und die Furcht vor ihnen trat so den Weg um die Weltkugel an.

Inzwischen wird diese Furcht, so irrational sie sein mag, von Rechtspopulisten in verschiedenen Ländern erfolgreich beackert – ob Pro Köln, HC Strache, Geert Wilders, die SVP oder die Schwedendemokraten: Immer wird vor dem expansiven, aggressiven Islam und seinen überaus reproduktiven Gläubigen gewarnt (auch Sarrazin und seine Sorge um das sich selbst abschaffende Deutschland gehören hierhin), welche zum Sturm auf das christliche Abendland ansetzten. Dabei wird zwischen weltlich orientierten, gemässigten Muslimen und in der Wolle gefärbten, gewaltbereiten Islamisten kein Unterschied gemacht. Alle gelten sie als Feinde der Freiheiten des Abendlandes, alle wandern in ein und dieselbe Schublade - der Generalverdacht feiert Urständ. Nur konsequent, dass einige Kommentierende nur noch von Islamisten und nicht mehr von Muslimen schreiben.

Wenn sich die Rechtspopulisten zumindest hinter die Europäische Menschenrechtskonvention als Verbriefung der Freiheiten des Abendlandes stellen könnten, wäre ihre Argumentation weit stringenter. Aber das tun sie nicht, denn diese Konvention sieht keine Diskriminierung auf Grund des Glaubens vor: Der Mensch wird als Individuum unbesehen seines Glaubens durch diese Rechte geschützt. Stattdessen wollen die Rechtspopulisten den Muslimen das Leben im Abendland vergällen – und sind im Namen dieses Zieles bereit, wesentliche Fundamente genau dieses aufgeklärten Abendlandes zu entsorgen. Als da wären: Der laizistische, in Religionsfragen neutrale Rechtsstaat, die Kultusfreiheit und das Diskriminierungsverbot.

Mit dem Verweis auf eine christliche Leitkultur soll der Islam als Glauben der Unfreiheit isoliert werden – bloss: Die Freiheiten des Abendlandes wurden nicht von, sondern gegen die Kirche erkämpft, im Zuge von Renaissance und Aufklärung. Während die Kirche (und die mit ihr verbündete Obrigkeit) brave Schäfchen und Untertanen wollte. Noch in den 50er Jahren war religiös unterfütterte Intoleranz gegen von der Norm abweichende Lebensentwürfe in den Staaten Europas weit verbreitet, wie man sie nun Ländern mit einer muslimischen Mehrheit vorwirft. Ein in den Augen Strenggläubiger lotterhafter Lebenswandel konnte damals auch in der Schweiz zu einem fürsorgerischen Freiheitsentzug führen – oder gar zu einer Zwangssterilisation. Schöne, europäische Freiheit, wie gut, dass wir das Mittelalter schon so lange hinter uns gelassen haben!

Wer von einer christlichen Leitkultur schwadroniert, ist des gleichen (Un-)Geistes Kind wie ein Islamist – weil er das Primat des Staates und der Gesetze vor der Religion nicht akzeptiert. Und weil man mit diesem Schlagwort entgegen dem Geist des Diskriminierungsverbotes dem christlichen Glaubensbekenntnis eine privilegierte Stellung einräumen will. Was umso falscher ist, als die konfessionell aufgesplitterte Christenheit mittlerweile nur noch Minoritäten zu bieten hat, die laut Volkszähllung in ihrer Grösse mit den komplett Ungläubigen in etwa auf einer Stufe stehen. Im Fall des Minarett-Verbots hat dieses verquaste Denken schon Einzug in de Verfassung der Schweiz gehalten. Zugleich wird von Seiten der Rechtspopulisten unablässig darauf hingewiesen, dass sich Muslime nicht in unsere Kultur integrieren liessen.

Dem muss man entgegnen: Religion ist eine strikte Privatsache, ja muss dies im laizistischen Rechtsstaat geradezu sein. Dies ist eine Lehre aus Jahrhunderten, während der sich die Leute wegen Konfessionsfragen in Europa die Schädel eingehauen haben. Daher hat auch jede Ungleichbehandlung der einen oder anderen Gruppe zu unterbleiben – weder Bevorzugung noch Diskriminierung liegen drin. Und so lange eine Glaubensgemeinschaft keine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstellt, hat man ihr auch die ihr zustehenden Freiheiten zu gewähren.

Weil Religion eine strikte Privatsache zu sein hat, ist auch meine Haltung zum Stichwort Shariah klar: Eine Einführung derselben kommt nicht in Frage, weil dann nicht mehr gleiches Recht für alle Bewohner des laizistischen Rechtsstaates gelten würde. Gleichzeitig kommt aber auch ein Kopftuch- oder Burkaverbot nicht in Frage, weil dies einseitig gegen eine Glaubensgemeinschaft gerichtete Gesetze wären – die damit in Konflikt mit dem Diskriminierungsverbot und der Kultusfreiheit gerät.

Ich beobachte einen gross angelegten Versuch religiös-christlicher Kreise, sich wieder verstärkt ins öffentliche Leben einzumischen. Das reicht vom Widerstand gegen Tagesschulen über die Forderung nach einer gleichberechtigten Behandlung des Kreationismus im Schulunterricht (schon mal vom Unterschied zwischen Glauben und Wissen gehört?) oder finanziellen Mitteln für freikirchliche Privatschulen bis zu moralinsauren Plakaten im öffentlichen Raum, die in gelben Lettern auf blauem Grund vor Sünde und Fegefeuer warnen und Christus als den einzigen Ausweg anpreisen. Auch im Abstimmungskampf um die Minarett-Initiative haben sich Freikirchlicher auf Seiten der Befürworter hervor getan.

So spielen radikale Christen, oft auch freikirchliche Kreise, der radikalen Minderheit unter den Muslimen den Ball zu. So schaukeln sich zwei radikale Minderheiten gegenseitig hoch – und nehmen die überwiegende Mehrheit der Gemässigten als Geiseln in diesem Ringen.

Höchste Zeit, dass die Gemässigten Gegensteuer geben.

Dass der Dialog wieder in Gang kommt.

Dass das Gemeinsame über das Trennende gestellt wird.

Sonntag, 28. November 2010

They did it... again

In den Kommentaren der Leser des österreichischen Standard (http://derstandard.at) bin ich auf ein passendes Wort zum vergangenen Sonntag gestossen:

Majoritätsentscheide über Minderheitenrechte sind per se problematisch.

Und Denkzettel für die Mächtigen in Bern in Form eines Stimmzettels zeugen nicht nur von Menschenverachtung (gegenüber denen, auf deren Buckel der Denkzettel geschwenkt wird), sondern auch von einem eklatanten Mangel an demokratischem Verantwortungsgefühl.


Hinzuzufügen wäre noch, dass ich weder kriminell bin noch ein Minarett zu bauen gedenke, aber als Nichtschweizer dennoch die ausgrenzenden und beleidigenden SVP-Kampagnen gegen alles Fremde mit Unbehagen zur Kenntnis nehme und die neuste Verschärfung im Ausländerrecht ganz sicher nicht begrüsse. Wer das Wort "Ausländer" nur zusammen mit Kriminalität, Überfremdung und Ausschaffungen denken kann, hat einen Sprung in der Schüssel.

Samstag, 27. November 2010

Herzlos und erst noch ideenlos - ihre Robinvest

Die Posse um die BaZ und deren Mutterkonzern ist mehr oder weniger überstanden - und nun zeigt sich: Ich lag mit meiner Prognose genau richtig, was die Herren Tettamanti und Blocher in Basel vorhatten - wenn man sie denn gelassen hätte.

Am 16. November schloss ich meine Betrachtungen zu den Wirren um die BaZ auf diesem Blog mit dem folgenden Abschnitt:

Im Hinblick auf die BaZ wage ich, der Analyse Christoph Blochers vorzugreifen: Die Robinvest wird zum Schluss kommen, dass das Verlagswesen nicht in die Gewinnzone gebracht werden kann. Daher wird eine Aufteilung in die Sparten Druck und Verlag empfohlen und für den Verlag oder zumindest Teile desselben ein Käufer gesucht. Worauf Markus Somm als Retter der Medienvielfalt in Basel und der Stellen bei der BaZ auftreten wird – und nach Köppel zum zweiten Verleger und Chefredaktor in Pesonalunion und von Blocher’s Gnaden werden wird. Wenn es anders kommen sollte, wäre ich positiv überrascht.

Nachdem die Übernahme der BZM-Gruppe und das Ausbeineln der Konzernteile am Widerstand der Basler gescheitert war - die Spanne der Aktionen reichte von einer Online-Petition (an sich harmlos, aber vom neuen Eigentümer Moritz Suter als Mobbing gebrandmarkt) über Proteste vor dem BaZ-Medienhaus bis zur Sabotage der morgendlichen Auslieferung der Zeitung, gewährt Titto Tettamanti dem Tages-Anzeiger ein Interview.

Dabei bestätigt er, dass genau das von mir vorhergesagte Szenario die Empfehlung von Robinvest gewesen sei. Wenn man eine Manager-Heuschrecke und ihre Logik erlebt hat und kennt (geht meist nicht ohne Verlust des Arbeitsplatzes vor sich...), kennt man sie alle. Das Schema FF dominiert, wirklich passende, da für die Situation adäquate Lösungen haben die völlig überbezahlten Unternehmensberater nicht auf Lager.

Hier im Wortlaut, was Tettamanti, Wagner und Blocher in Basel vorhatten:

Tito Tettamanti und Christoph Blocher planten die Zerschlagung der National Zeitung und Basler Nachrichten AG. Die «Basler Zeitung» (BaZ) sollte aus der Aktiengesellschaft herausgelöst und so vom industriellen Teil getrennt werden. Blochers Robinvest hat erwogen, den industriellen Teil mit den Druckereien zu übernehmen. Die Evaluation dieses Vorgehens durch Robinvest war aber noch nicht abgeschlossen, als deren Mandat als Beraterin bekannt wurde, sagt Tettamanti im TA-Interview.

Es kam also nicht anders - weil die Managerkaste alle nach einem Ideal handelt, sind diese krawattierten Stellenkiller nicht im Stande, etwas anderes als Schema FF zu liefern. Ich sehe mich bestätigt. Und freue mich, dass der Plan nicht so umgesetzt werden konnte. Widerstand lohnt sich eben doch.

PS: Falls sich die anonyme Kommentarschreiberin wundert, wo ihr schnepfig-schnippisches "Deine Analyse kannst Dir ans Bein streichen, Suter hat die BaZ gekauft" geblieben ist: Es ist der Löschtaste zum Opfer gefallen. Denn wenn sich an den Besitzverhältnissen nichts geändert hätte, wäre meine Analyse ein Volltreffer ins Schwarze geworden.

Freitag, 26. November 2010

Walgelijk – met een zachte g

Kein Tag vergeht, an dem in den Niederlanden nicht weitere Altlasten von Parlamentariern der rechtspopulistisch-antiislamischen Einmann-Bewegung PVV bekannt werden. Geert Wilders hat dies zuerst die Sprache verschlagen, doch nun zetert er von einer Hexenjagd der Medien.

Mit dem Rücken zur Wand, die Medien vor sich: Geert Wilders.

Noch sind die Mehrheitsverhältnisse in der zweiten Kammer des niederländischen Parlaments unverändert, noch hat das Kabinett Rutte I genau eine Stimme mehr als unbedingt nötig, wenn es von sämtlichen PVV-Abgeordneten unterstützt wird. Denn noch hält Geert Wilders seine Schäflein (mit Blick auf die Plakatwände in der Schweiz gehe ich mal von schwarzen Schäflein aus) beisammen – und hat keins aus der Fraktion ausgeschlossen.

Deklarierte einen Nebenjob nicht und ist vorläufig suspendiert: Jhim van Bemmel.

Nach einigen Tagen der Ruhe ist dem Einmann-Anti-Islam-Unternehmen Wilders nun aber der Kragen geplatzt: Lauthals beklagt er sich, dass die Medien eine ordinäre Hexenjagd gegen seine Partei beetrieben und von ihm aus gerne mal in die Kühlbox dürften. Wilders sollte wissen, dass sich die Medien anders als Mark Rutte nicht von ihm herum kommandieren lassen. Und Wilders sollte einsehen, dass das Problem nicht die Medien sind, sondern sein Personal, das anscheinend aus lauter Leuten besteht, die gern eins über den Durst trinken, danach ausfällig bis gewalttätig werden oder hinters Lenkrad ihres Autos steigen – oder beides.

Trat als Parlamentarier zurück, um die Enthüllung weiterer Altlasten zu vermeiden: James Sharpe.

Aber die Einsicht wird nicht kommen: Wilders bildet sich gerade auf seine Personalpolitik eine Menge ein. Um die volle Kontrolle bei der Auswahl der Parlamentarier bei sich und nur bei sich zu halten, hat Wilders die PVV als Bewegung ohne Mitglieder konzipiert (was PVV-intern nicht unumstritten ist und mittelfristig noch für Sprengstoff sorgen dürfte) – beziehungsweise mit einem Mitglied: Geert Wilders himself. So sollte verhindert werden, was 2002 der Protestpartei LPF passierte: Dass unfähiges Personal sich gegenseitig an die Gurgel geht und das Image der Partei nachhaltig ramponiert, bis diese wegen Fraktionsabspaltungen in der Bedeutungslosigkeit verschwindet.

Bestritt zunächst, im Suff einen Schwedenkuss ausgeteilt zu haben - und will nun
durch Bezahlung einer Busse ein Gerichtsverfahren vermeiden: Marcial Hernandez.

Wo wir grad beim Image der Partei sind: Trotz der ganzen Wirren um das Fehlverhalten von Parlamentariern halten sich die Verluste der PVV in Meinungsumfragen in einem frustrierend bis erschreckend geringen Rahmen. Entweder finden PVV-Wähler das Verhalten ihrer Abgeordneten nicht verwerflich, oder sie halten das alles für eine Kampagne von ihnen gegenüber feindlich eingestellten, mit den Systemparteien verbandelten Medien.

Eric Lucassen's Sündenregister wird immer länger: Zur Unzucht mit Schutzbefohlenen
und Gewalt gegen und Belästigung von Nachbarn kommt nun noch Verschuldung dazu.

Dem Beobachter bleibt nur eines: Zu warten und zuzusehen, wann Wilders einen seiner Abgeordneten aus der Partei schmeisst. Oder wann es zum Aufstand bei den Christdemokraten kommt – denn bei diesen regt sich immer mehr Widerstand gegen die Kooperation ihrer Partei mit den immer anrüchigeren Fölglingen von Geert Wilders. Bei der jüngsten Fraktionssitzung der Christdemokraten wurde Wilders’ PVV gar von Jack Biskop mit dem Nationalsozialismus der 30er Jahre verglichen.

Will die PVV gegen Wilders' Willen demokratisieren - sorgt aber selbst mit suffbedingtem
Fehlverhalten regelmässig für Schlagzeilen: Hero Brinkman.

Dazu nutzte Biskop eine Passage aus einem Traktat aus dem Jahre 1937. Damals schrieb der Schriftsteller, Atheist und liberale Journalist Menno ter Braak über (jetzt geht’s auf Niederländisch weiter, die Übersetzung ins Deutsche folgt einen Abschnitt weiter unten) 'een politieke beweging die niets anders doet dan ressentiment exploiteren'; die was bezig 'met het stimuleren van boosheid, niet werkelijk geïnteresseerd in oplossingen en zonder ideeën. Een beweging die ook geen oplossingen wil, omdat ze de misstanden nodig heeft om te kunnen blijven schelden en haten (...) Het maatschappelijk ressentiment wordt botgevierd op een zondebok die de schuld krijgt van alles. Tegelijk beschouwt deze beweging zichzelf als het eeuwige slachtoffer van 'links' of 'de elite', en koestert ze een diepe weerzin jegens intellectuelen, kosmopolieten en iedereen die en alles wat 'anders' is...'

Schrieb gegen die Nazis und deren Denken und Methoden an, bis es zu spät war
- und ihm nur noch der Suizid als Ausweg blieb: Menno ter Braak (1902 - 1940).

Übersetzt in die Sprache Goethes:

Eine politische Bewegung, die nichts anderes macht, als Vorurteile zu bewirtschaften, die stets beschäftigt ist mit dem Provozieren von Boshaftigkeiten, kein wirkliches Interesse an Lösungen zeigt und keine Ideen zu bieten hat. Eine Bewegung, die auch keine Lösungen will, weil sie auf die Missstände angewiesen ist, um weiter motzen und Hass sähen zu können. Gesellschaftliche Vorurteile werden auf dem Buckel von Sündenböcken (schwarzen Schafen?), die für alles die Schuld bekommen, durchexerziert bis zum Abwinken. Gleichzeitig sieht sich diese Bewegung als ewiges Opfer der Linken und der Elite, und sie treibt eine tiefe Ablehnung an, gegen Intellektuelle, Kosmopoliten und überhaupt alle, die in irgend einer Hinsicht anders als sie sind...

1937 – 2010: Ist die Geschichte dazu verdammt, sich zu wiederholen? Oder lassen sich Lehren ziehen aus dem, was in den 30er Jahren geschah? Werden die Demagogen ihre Hetze auf Minderheiten und Muslime aus Verantwortungsgefühl herunter fahren? Wer’s glaubt, wird selig. Aber man wünscht sich den wortgewaltigen Menno ter Braak zurück, um dem eitlen Pfauen Wilders mal ein paar Federn zu ziehen und ihn auf ein Setzkasten-Format zu stutzen.

Und ob die Herrschaften nun Wilders, HC Strache oder Ulrich Schlüer heissen, das Argumentarium ist das gleiche. Wer für Demokratie, Pluralismus und Toleranz zwischen den Menschen einsteht, ist gefordert!

Montag, 22. November 2010

Restenverwertung – schmackhaft

Experimente in der Küche lohnen sich zuweilen – erst recht, wenn es um Zutaten geht, für die man sonst keine Verwendung mehr hätte.

Gestern Abend hab ich mal wieder ein grenzwertig scharfes Thai Red Curry zubereitet, mit Zucchetti und Pouletbrust, dazu Reis. Aber wie ich mit den Vorbereitungen loslegte, fiel mir ein, dass sich in der Seitentasche meines Rucksacks noch ein Apfel befand. Nun, der hatte in der Zwischenzeit gelitten und sah nicht mehr sehr verlockend aus.

Also schnitt ich einige Stücke weg, entfernte das Kerngehäuse, schälte, was vom Apfel übrig blieb und hackte es in kleine Stücke. Etwas Zitronensaft und Rohrzucker drauf und ab in den Kühlschrank. Mein Plan: Ein selbst gemachtes Apfel-Chutney auf die Schnelle, zum Löschen des Mundraums beim Verspachteln des Thai Red Curry.

Dazu erhitzte ich als nächstes einen Schuss Weisswein und einen Löffel Honig in einer Pfanne – und gab dann den gehackten Apfel dazu. Nochmals etwas Rohrzucker zum Karamellisieren, und danach gings ans Verfeinern: Zwei Gewürznägeli (Nelken) dazu, eine Prise Salz und etwas Ingwer, etwas mehr mildes Curry, etwas Cayenne-Pfeffer (ganz ohne Schärfe geht’s doch auch nicht) und Kurkuma, um die Farbe wieder in Richtung Goldgelb aufzuhellen.

Diese ganze Mischung liess ich darauf überm Reis weiter köcheln und verfeinerte sie abschliessend mit einem Schuss Schnaps. Calvados hätte sicher gut gepasst, war aber nicht zur Hand. Also griff ich zu Rohrzucker in Flüssigform, auch bekannt als Cachaça und wichtiger Bestandteil von Caipirinhas.

Das Resultat war überzeugend: Ein ausgewogener Mix aus Süsse und Schärfe, aus Vertrautem und Exotischem. Und das Beste: Schnell mal nebenbei aus Resten gemacht, ohne Rezept und strikt nach Gefühl. Zum Nachmachen wärmstens empfohlen.

Samstag, 20. November 2010

Der letzte goldene Herbst-Sonntag?

Der erste Schnee ist nicht mehr weit - Zeit für einen Herbst-Schnappschuss.

Weil die Sonne diesen Sonntag nur noch ein bleicher Schatten ihrer selbst war, will ich noch dieses Bild von einer Woche zuvor nachreichen. Es stammt von einem Ausflug an die Töss mit Umwegen: Tiefstehende Herbstsonne, Laub in der Wiese und eins meiner Radl ergeben ein ansprechendes Motiv.

Ach ja: Wenn sich meine Haare nach zwei Stunden unterm Bikehelm so formen lassen wie auf den Selbstportraits oben, dann wird's Zeit für einen Einsatz des Langhaarschneiders.

Bikewrecks XI: Grosser Name, kleines Herz?

Als mittlerweile zweitgrösster Fahrrad-Hersteller Taiwans hat sich Merida einen festen Platz im Business gesichert – und produziert auch für namhafte Hersteller.

Zudem bieten die Taiwanesen, die seit Jahren eines der stärksten Rennteams der Welt sponsern, inzwischen auch Räder im fünfstelligen Preisbereich - die im Fachhandel weggehen wie warme Semmeln. Was umso faszinierender ist, als dies von der Firma in Sachen Image einen enormen Spagat erfordert.

Denn auch diese Billig-Schwarte, die mit verschachteltem Rahmen und Speichenreflektoren eine geballte Ladung Baumarkt-Charme verströmt, ist ein Merida. Angekettet an der Kreuzung zwischen Mühlegasse und Limmatquai, wartet dieses Rad auf den Winter und den Rost. Zwar hat der Besitzer den Schriftzug aufm Rahmen ebenso dilettantisch wie unübersehbar übermalt (geklautes Rad?), aber hinten auf der Kettenstrebe steht noch gut leserlich www.merida.de.

Aus stilistischer Warte muss man loben, dass die Einkaufstüte aufm Sattel auf die Farben des Rahmens abgestimmt ist – das sieht man selten. Dafür erscheint es reichlich herzlos, das Velo nur wegen eines platten Hinterreifens an ein Brückengeländer gekettet zurück und seinem Schicksal zu überlassen. Wobei das halbpatzige Knack-mich-in-drei-Sekunden-Kabelschloss niemanden wirklich auf- oder abhalten dürfte. Wer also schon lange ein Merida sein Eigen nennen wollte: Rettet das Velo vor dem Rosttod.

Dienstag, 16. November 2010

Ra-Baz am Rheinknie

Um keine andere Print-Publikation wird dieser Tage in der Schweiz so kontrovers diskutiert wie über die Basler Zeitung, kurz BaZ. Was wollen die neuen Besitzer? Steht die Schweiz nach der Reïdeologisierung der Politik nun auch vor einer Rückkehr der Parteiblätter? Ein Ausblick.

Das Muster kam einem bekannt vor – seltsam, wenn auch nicht angenehm: Weil sie jahrelang nur Verluste eingefahren hatten, machte sich die «Basler Zeitung Medien-Gruppe» (BZM) als Eigentümerin der Basler Zeitung auf die Suche nach einem solventen Käufer. Und das ausgerechnet während einer Wirtschaftskrise, wo bekanntlich als erstes (noch vor den Arbeitsplätzen) die Inserate und Ausgaben für Werbung gestrichen werden. Zu einer Zeit also, als die verlässlichste Einnahmequelle jeder Tageszeitung im Schrumpfen begriffen war.

Den Zuschlag erhielten im Februar 2010 ein Wirtschaftsanwalt und ein Investor mit einem durchaus dubiosen Ruf: Tito Tettamanti (Bild oben) hatte sich schon einmal am Sulzer-Konzern versucht, war danach eine der entscheidenden Figuren beim Kauf des Jean-Frey-Verlages und sorgte für die Weitergabe der Perle dieses Verlags an Roger Köppel: So geriet die «Weltwoche» in dogmatisch-neoliberales, SVP-nahes Fahrwasser. Eine Linie, die Köppel seltsamerweise nicht «parteipolitischen Verlautbarungs-Journalismus» nennt, sondern für intelligenten Widerspruch hält. Bemerkenswert ist, dass Köppel sich bis heute weigert, bezüglich der hinter der Weltwoche stehenden Investoren für Transparenz zu sorgen. Nun, seine Schreibe verrät schon genug.

Nachdem also die Basler Zeitung an den Investor Tito Tettamanti (zu 75%) und Martin Wagner (zu 25%, zu Wagner und seinen Plänen mit der BZM hat das Webformat Online Reports ein interessantes Portrait zu bieten) übergegangen war, präsentierten die neuen Besitzer im August einen neuen publizistischen Leiter: Mit dem Weltwoche-Vize, Köppel-Intimus und Blocher-Biographen Markus Somm (Bild unten) wurde jemand zum Chefredaktor der BaZ ernannt, der kein unbeschriebenes Blatt ist. Und bei dem die Richtung klar ist: Gegen links, gegen politische Korrektheit, gegen Gutmenschen, für Gruppenegoismus, Markt und Vorurteile. Zunächst hütete sich Somm aber, die Redaktion allzu forsch auf Kurs zu bringen – und begnügte sich mit Kommentaren, wo Meinung nicht nur statthaft, sondern gefragt ist.

Wie nun die NZZ am zweiten November-Sonntag enthüllte, haben die neuen BZM-Besitzer ein Mandat an eine externe Beratungsfirma vergeben. Diese soll Strategien aufzeigen, wie das Unternehmen wieder in die Gewinnzone geführt werden kann. Beauftragt mit dem Mandat wurde nicht eine in Medienfragen ohnehin bekannte Agentur (da gäbe es durchaus einige in der Schweiz, auch welche mit besserem Erfolgsausweis als Sascha Wigdorovitz), sondern die Robinvest AG: Das ist Christoph Blochers Beratungsfirma, bei dem nur er und eine seiner Töchter Einsitz haben. Ein Familienunternehmen im ursprünglichsten Sinne. Ohne die betriebswirtschaftliche Kompetenz von Herrn Blocher in Frage stellen zu wollen, kann man feststellen: Sein Leistungsausweis im Bereich der Medien ist nichtexistent.

Dass die Produktion von Printmedien in Zeiten von Web-Konkurrenz und Gratiszeitungen ein undankbares Geschäft ist, haben inzwischen fast alle begriffen. Schon vor neun Jahren liess mein damaliger Arbeitgeber Fischer Media von einem externen Berater analysieren, was zu tun sei. Die Folge: Der gesamte Verlag inklusive der dort erscheinenden Titel wurde eingestampft, ich war meinen Job als Fachredaktor los und Fischer konzentrierte sich auf die Geschäftsfelder Druck und Immobilien.

Nur noch mit einem Kübel überm Kopf zu lesen - oder mit einem fetten Brett vorm Kopf?
Man darf gespannt sein, wie es bei der BaZ weiter geht, und zwar in jeder Hinsicht.

Im Hinblick auf die BaZ wage ich, der Analyse Christoph Blochers vorzugreifen: Die Robinvest wird zum Schluss kommen, dass das Verlagswesen nicht in die Gewinnzone gebracht werden kann. Daher wird eine Aufteilung in die Sparten Druck und Verlag empfohlen und für den Verlag oder zumindest Teile desselben ein Käufer gesucht. Worauf Markus Somm als Retter der Medienvielfalt in Basel und der Stellen bei der BaZ auftreten wird – und nach Köppel zum zweiten Verleger und Chefredaktor in Pesonalunion und von Blocher’s Gnaden werden wird. Wenn es anders kommen sollte, wäre ich positiv überrascht.

Die jetzige Situation bietet auf jeden Fall dem Web-Format Online Reports neue Chancen: Ursprünglich ins Leben gerufen, um etwas gegen die Dominanz der BaZ auf dem Platz Basel zu tun, wird Online Reports nun zum Hoffnungsträger. Denn von 20min und von der zweiten Gratiszeitung in Basel, dem «Basler Stab», sollte und kann man das nicht erwarten.

Taucher...

Als ich gestern Nachmittag die Böden von Badezimmer und Küche nass aufnahm, geschah mir ein Missgeschick. Eines, das mit einem anderen Handy anders geendet hätte.

Das Badezimmer glänzte bereits, die Küche war auch schon so gut wie sauber. Da geschah es: Als ich mich leicht vorbeugte, fiel ein Gegenstand in das dunkelbraune, nicht mehr ganz so seifige Wasser. Erst war ich verdutzt, doch nach einem Griff in die Seitentasche meines Sweaters machte klar: Mist, das war das Handy. Also folgte der Griff in den Eimer mit der braunen Brühe (nein, ich meine nicht den künftigen Inhalt der Basler Zeitung), und prompt hatte ich mein Handy wieder in den Händen.

Und das funktionierte weiterhin – ist ja auch ein Outdoor-Knochen, der Spritzwasser ohne Probleme wegsteckt. Aber hier ging es um mehr, um einen veritablen Tauchgang von gut drei Sekunden Dauer. Abends gegen 21:30 Uhr erhielt ich eine SMS, und zugleich gab das Handy den finalen Warnton von sich, wenn der Akku leer ist. Das war nun seltsam, denn eigentlich hatte es noch ausreichend Saft im Akku. Wie sich heraus stellte, funktionierten auch plötzlich einige Knöpfe nicht mehr – und es wurden immer mehr, bis ich die PIN-Nummer beim Neustart nicht mehr eingeben konnte.

Also öffnete ich das Gehäuse, und tatsächlich fand sich im Innern Feuchtigkeit – auf der Linse der eingebauten Kamera hatten sich von innen her gar bereits Kondenstropfen gebildet. Also legte ich das Handy ohne Gehäuse auf die leicht aufgedrehte Heizung, um die Feuchtigkeit raus zu bekommen. Und tatsächlich: Einige Stunden und einige verfrühte Wiederbelebungsversuche später funktionierte alles wieder wie gewohnt. Herrlich, ich liebe meinen alten «Outdoor-Knochen», jedes Smartphone wäre nach einem solchen Taucher am Ende seines Lateins gewesen und zu Elektroschrott mutiert.

Samstag, 13. November 2010

Leise bröckelt die Mehrheit

Als Mark Rutte in den Niederlanden eine bürgerliche Minderheits-Regierung mit Unterstützung von Geert Wilders Rechtspopulisten bildete, fragten sich viele: Wie lange geht das gut? Das Ende von Rutte I zeichnet sich schon jetzt ab.

Nach Monaten der Unsicherheit resultierte aus dem Seilziehen um die Regierungsbildung in den Niederlanden eine bürgerliche Koalition ohne Mehrheit, unterstützt von Geert Wilders gegen Muslime und Einwanderung gerichtete «Partij van de Vrijheid». Wobei Wilders’ Bewegung genau genommen keine Partei ist: Denn das einzige Mitglied ist gemäss den bisher gültigen Statuten Wilders selbst. Er allein bestimmt das Programm, die Kandidaten und die Strategie. Er ist die Partei, die Partei ist Wilders. Verglichen damit ist Christoph Blocher ein gewöhnliches SVP-Mitglied. Und eigentlich wäre schon dies Grund genug, eine Kooperation mit der PVV auszuschliessen.

Au Backe: Geert Wilders hat im Moment gute Gründe, den Blick vom politischen
Alltag abzuwenden - da ist nichts Erfreuliches in Sicht.

Geert Wilders scheint nun zu einem Opfer seines eigenen, rasanten Erfolgs zu werden: Wegen der starken Stimmengewinne bei den vergangenen Wahlen musste er viel neues Personal zur Besetzung der gewonnen Sitze finden – und bewies dabei nicht eben ein glückliches Händchen. Die Liste der Skandale rund um die Neu-Volksvertreter der PVV reicht von betrügerisch frisierten Lebensläufen und unerlaubtem Waffentragen bis zu Gewalt im Suff, dem sexuellem Missbrauch von Untergebenen und der gewaltsamen Einschüchterung von Nachbarn. Für eine Partei, die sich Law and Order auf die Fahnen geschrieben hat, kein Ruhmesblatt.

Er bringt das Kabinett Rutte I ins Wanken, weil ihn seine eigene Vergangenheit einholt:
Eric Lucassen, seit 4 Monaten Parlamentarier der PVV.

Vor allem Eric Lucassen sorgt bei Wilders – und damit auch bei Premierminister Rutte – für Bauchschmerzen: Der Herr war vor einigen Jahren als Armee-Instruktor in eine Affäre verwickelt, bei der es um sexuellen Missbrauch von Untergebenen ging (die Kaserne, in der sich diese Vorfälle ereignet hatten, wird seither vom Volsmund nur noch Spermelo statt Ermelo genannt). Obwohl Lucassen darauf beharrte, dass der Sex mit den jungen Soldatinnen einvernehmlich erfolgt sei, wurde er verurteilt - mit Hinweis darauf, dass zwischen ihm und den Soldatinnen ein Machtgefälle bestanden haben und intime Kontakte daher unstatthaft seien. Zudem haben sich in den vergangenen Tagen mehrere Nachbarn zu Wort gemeldet, die von Lucassen seit langem eingeschüchtert und beschimpft, ja vereinzelt auch tätlich angegangen worden sind. Kurzum: Als Parlamentarier ist Lucassen eigentlich nicht mehr haltbar.

Knapper gehts kaum: Die Wahlen 2010 brachten in den Niederlanden keine klaren Mehrheiten.

Bloss: Das Kabinett Rutte I, gebildet aus der rechtsliberalen VVD und den Christdemokraten vom CDA, verfügt selbst mit dem Support sämtlicher PVV-Abgeordneter nur über die knappstmögliche Mehrheit von 76 Sitzen (bei 150 Sitzen in der «Tweede Kamer»). Sollte nun also Lucassen aus der PVV ausgeschlossen werden, könnte er als Einmann-Fraktion weiter machen. Und wäre damit plötzlich das Zünglein an der Waage im Parlament. Kein Wunder, dass sich Geert Wilders sehr genau überlegt, wie er mit Lucassen verfahren soll - und sich entsprechend viel Zeit nimmt. Zugleich gibt’s in der Fraktion der Christdemokraten mindestens vier Abgeordnete, die bei harten Entscheidungen gegen Immigranten nicht mitmachen dürften. Weil sie im Unterschied zu ihren Parteikollegen die christliche Ethik nicht mit der Unterzeichnung der Regierungserklärung auf Eis gelegt haben.

Ein Karrierist vor dem Scherbenhaufen? Mark Rutte's Tage als Premierminister
scheinen gezählt, ehe er so richtig loslegen konnte.

Mit anderen Worten: Das Kabinett Rutte I steht auf tönernen Füssen. Wenn man sieht, was diese Regierung bisher auf die Reihe bekommen hat, kann man das nur begrüssen. Zu den ersten Entscheidungen der neuen Regierung gehörte die Abschaffung des Rauchverbots in kleinen Gastro-Betrieben sowie die Ankündigung, die Tempolimite auf Autobahnen von 120 auf 130 anzuheben. In Zeiten von Defiziten und Arbeitslosigkeit scheinen mir dies definitiv nicht die dringlichsten Probleme. Eher muss hier von einer populistischen Ballaballa-Politik die Rede sein, von einem Ausweichen auf symbolische Politik, wenn man in der Substanz nicht weiter kommt.

Die Sonne nähert sich dem Horizont, das Kabinett Rutte I nähert sich dem Ende. Und das ist gut so. Wenn Rutte I fällt, mach ich eine Flasche guten Wein auf. Weil die Rechtspopulisten dann einmal mehr bewiesen haben, dass mit ihnen kein Staat zu machen und keine Regierung zu bilden ist. Wer nur blöken und meckern kann, ist nicht zur Übernahme von Verantwortung geeignet.

Dienstag, 2. November 2010

Der totale Personenkult

Im Moment bin ich ganz froh, das Geschehen in meiner Heimat aus der Ferne zu verfolgen: Der Personenkult um Geert Wilders ist nur noch grotesk.

Nachdem seine «Partij van de Vrijheid» (Freiheitspartei) bei den letzten Wahlen in den Niederlanden 15 Prozent der Stimmen geholt hatte und damit zur Mehrheitsbeschafferin für Mark Ruttes Rechtsregierung avancierte, kennt der Personenkult um Geert Wilders kaum noch Grenzen. Der Mann, der sich nicht entblödet, den Koran mit «Mein Kampf» gleichzusetzen, entsprechend das Verbot des Korans zu fordern und in jedem Muslim einen gewaltbereiten und daher nicht integrierbaren, sondern schleunigst auszuschaffenden Extremisten zu sehen, ist zur Zeit in den Niederlanden omnipräsent.

Vor Gericht muss er sich wegen des Vorwurfs der Volksverhetzung verantworten, aber der Prozess ist im Moment auf Eis gelegt, weil Wilders mit seinem Befangenheitsantrag gegen das Gericht durchgekommen ist. Zugleich sickert durch, dass Mark Rutte einmal pro Woche zu Wilders pilgert, um sich dessen fortwährende Unterstützung zu sichern. Dabei soll schon darüber diskutiert worden sein, Beleidigungen auf Grund von Religion und Ethnie künftig zu erlauben. Da ist die Frage angebracht, ob Wilders seine Botschaft auch ohne Beleidigungen artikulieren kann?

Fussball-Hooligans? Nein, nur die selbsternannten Hüter der europäischen Kultur...

Am vergangenen Wochenende war dann die Polizei von Amsterdam in Alarmbereitschaft, weil die gegen die Islamisierung Europas kämpfende «European Freedom League» für Wilders demonstrieren wollte. Immerhin wurde ihr Begehren, auf dem Museumsplein im Zentrum Amsterdams aufzumarschieren, von der Stadtregierung abgeschmettert. Denn die stramm antirassistisch orientierten Ultras von Ajax Amsterdam hatten mehr als deutlich gemacht, dass sie einem Aufmarsch Rechtsextremer – auch die «English Defence League» und rechts gewickelte Fussball-Hooligans anderer Clubs in Holland hatten ihr Kommen angekündigt – nicht tatenlos zusehen würden.

Am Ende fanden sich weit mehr Polizisten und Journalisten an der Amsterdamer Peripherie ein als Wilders-Unterstützer. Sollen die sich doch bitte das nächste Mal in der Limburger Provinz treffen, wo Wilders herkommt. Denn mit dem kosmopolitischen Amsterdam hat Wilders wenig am Hut. Er ist zwar kritiklos israelfreundlich, aber auch dies aus seiner tief sitzenden Verachtung gegenüber Muslimen heraus. Wilders sieht in Israel einen Stachel im Fleisch der arabischen Welt, einen Brückenkopf abendländischer Zivilisation in der Finsternis des Nahen Ostens. Eine Haltung, wie man sie von durchgeknallten, siedlerfreundlichen Fundis aus den USA kennt, die aber kaum das Etikett «intellektuell redlich» verdient.

Der Grössenwahn und das Sendungsbewusstsein des überaus eitlen Geert Wilders (der seine Haare blond färbt, weil er als Sohn einer Indonesierin sonst nicht ganz so forschblond-nordisch daher kommen würde) hat nun zur Lancierung einer satirischen Zeitschrift geführt. Im Stil einer Hochglanz-Personality-Postille gehalten, bietet «Geert» eine kritische Sicht auf den zur Zeit medial präsentesten Politiker der Niederlande. Prompt wird diese Zeitschrift zum Politikum, oder eher die Frage, wo sie zum Verkauf angeboten werden soll.

Meine Hoffnung ist, dass Wilders die jetzige Regierung mit unberechenbaren Sololäufen binnen 2 Jahren auf die Klippen laufen lässt. Die Spannungen zwischen Christdemokraten und Wilders bieten sich als Spaltkeil an. Und dass die Stimmberechtigten dann diesen selbstverliebten Schaumschläger bei den fälligen Neuwahlen dafür abstrafen, dass es ihm vor allem anderen um eines geht: Um sich selbst und die permanente Profilierung als Europa’s härtestem Islam-Feind.