Freitag, 1. Oktober 2010

Von tanzenden Ratten und lügenden Schweinen

Dass die SVP auf guten Stil scheisst, ist nichts neues – wer solchen einfordert, hat in ihren Augen keine Argumente und ist obendrein eine Mimose. Mit ihrer jüngsten Kampagne geht die Tessiner SVP aber deutlich zu weit – und ist noch unaufrichtig dazu.

Sie sorgten in dieser Woche für Aufsehen in der Sonnenstube der Schweiz, wie das Tessin auch genannt wird: Plakate, auf denen Grenzgänger, Kriminaltouristen und der italienische Finanzminister Tremonti allesamt eher schlecht als recht als Ratten gezeichnet sind, die sich einen Tessiner Käse einverleiben wollen. Nun ist es schon reichlich geschmacklos, Menschen als Ratten zu (be-)zeichnen. Man könnte auch von einer vorsätzlichen Entmenschlichung reden, die für weitere Schritte eine Grundvoraussetzung ist.

Alles schon mal dagewesen: Ueli Maurer, inzwischen demonstrativ-unwilliger
Verteidigungsminister, vor einem Rattenplakat der SVP Zürich aus den 90er-Jahren.

Noch schlimmer als die geschmacklosen Plakate ist aber die Tatsache, dass deren Urheber zunächst anonym blieben. Das Plakat verwies nur auf eine Website, weitere Angaben zur Urheberschaft gabs nicht. Und auch auf der besagten Website gab kein Impressum über die Urheber auskunft - an sich schon ein Verstoss gegen das Gebot der Transparenz. Für Nachfragen der Medien war nur der Grafiker zu erreichen, der die Illustrationen zu verantworten hat – bezeichnenderweise ein aus Kalabrien zugewanderter Italiener, der seine Landsleute als Ratten darstellt. Auch dieser Herr hüllte sich aber bezüglich seiner Auftraggeber in Schweigen.

Dass am rechten Rand des politischen Spektrums rund um Volksabstimmungen gerne intransparente Adhoc-Komitees gegründet werden, ist in der Schweiz nichts Neues. Anonyme und zugleich menschenverachtende Kampagnen hingegen sind ein neueres Phänomen. Doch es kommt noch dicker: Dass für derartige Schweinigeleien auf Plakatwänden im Tessin eigentlich nur die Lega des ebenso cholerischen wie grossmäuligen Koksers und Waffennarren Giuliano Bignasca oder die SVP in Frage kommt, war von Anfang an klar. Doch beide Akteure verneinten auf Anfrage die Urheberschaft.

Ausländer statt Linke als Ratten, ein Käse statt eines Portemonnaies:
Recycling macht diese Kacke auch nicht besser, Herre Rusconi!

Einige Tage später lädt nun der Präsident der Tessiner SVP, Pierre Rusconi, zur Pressekonferenz. Und verkündet, dass seine Kantonalpartei sehr wohl hinter dieser Kacke auf Papier steckt. Als ob die Kampagne an sich nicht schon niederträchtig genug wäre, musste Rusconi anfangs Woche auch noch die Medien zur Frage der Urheberschaft anlügen. Ein Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Ich wünsche Herrn Rusconi von Herzen, dass er wegen dieser menschenverachtenden Hetzkampagne verklagt wird, die er via Plakatwände losgetreten und über die er zunächst auch noch gelogen hat. Mit dieser anonymen Schmierenkampagne importiert die Tessiner SVP ein weiteres Element der US-Politik in die Schweiz, und das als Partei, die sich als Gralshüterin der schweizerischen Demokratie versteht (und deren Exponenten dennoch dringend ein Repetitorium in Staatskunde nötig hätten). Aber das dürfte Leuten wie Rusconi nicht einmal auffallen.

Statt dessen bedauert Pierre Rusconi heute, dass es den Kritikern der Kampagne schlicht an Humor mangle. Vielleicht ist nicht ein Mangel an Humor das Problem, sondern so etwas wie Anstand beziehungsweise die Existenz eines historischen Bewusstseins, eine Kenntnis der jüngeren Zeitgeschichte und ihrer Zusammenhänge, wie man sie von einem Helfershelfer in Sachen Geldwäscherei und Steuerhinterziehung (Rusconi ist von Beruf Treuhänder...) nur allzu offensichtlich nicht erwarten kann und darf.

Weil niemand bis zu seinem Ableben strohdumm und ahnungslos bleiben muss, empfehle ich Herrn Rusconi eine Beschäftigung mit den Plakatmotiven aus der Zeit des III. Reichs. Einer finsteren Zeit, wo das Reichspropagandaministerium unliebsame Minderheiten zuerst als Tiere (wahlweise als Filzläuse oder als Ratten) zeichnete und dergestalt entmenschlichte, ehe sich der Unrechtsstaat ungestört an die physische Eliminierung derselben machen konnte. Vor allem aber rate ich Herrn Rusconi, die Medien nie mehr anzulügen, denn dieses Foul wird früher oder später auf ihn zurück fallen.

Nachtrag: Die vierte Ratte

Auf dem Plakat vermisse ich eine vierte Ratte namens Pierre. Diese hat ein stets makellos geschniegeltes Fell, kackt dafür aber überall dort hin, wo es ihr grad passt und verpestet so das Klima in der Sonnenstube. Wenn Pierre nicht gerade seinen Darm irgendwohin entlädt, klaut er der anderen Ratte (Giulio) alle Käsestücke, die sich diese gesichert hat, aus dem Sack. Oder er macht Schlagzeilen, weil er ein UFO gesehen haben will – und damit Zweifel an seiner geistigen Gesundheit nährt. Na, Pierre, wie wärs? Einverstanden mit einer Neuauflage der Plakate, oder fehlt es etwa an Humor?

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen