Sonntag, 25. Juli 2010

9 Stunden Zugfahrt, 9 Stunden Aufenthalt

Manchmal fragt man sich, ob alles Sinn macht, was man tut. So erging es mir gestern: Weil der Downhill-Worldcup nach 3 Jahren Pause wieder auf die legendär steile Strecke in Champéry zurückkehrte, machte ich mich auf ins Wallis.

Das hiess zunächst einmal: Am Freitag Abend nicht zu lange draussen bleiben, um zu einer anständigen Zeit ins Bett zu kommen. Nun, es wurde trotzdem halb zwei Uhr nachts, bis ich schlief – und der Wecker klingelte bereits um 5.15 Uhr. Also eine kurze Nacht, und darum liess ich nach dem Aufstehen auch den Kaffee sein – und packte statt dessen das aufblasbare Kissen für Langstreckenflüge ein. Denn von Winterthur bis Lausanne konnte ich mir ein Umsteigen ersparen – und wollte daher noch etwas Schlaf nachholen.

Nix für Sneakers oder Flipflops: Schlamm und das steile Gelände schrieen nach Bergschuhen.

Bis Bern klappte das vorzüglich, doch dann wurde der Zug von Soldaten gestürmt, die nach Fribourg respektive Lausanne wollten – an Schlafen war von dem Augenblick an nicht mehr zu denken. Was mich wieder einmal zur Erkenntnis brachte, dass der Transport von Wehrleuten nicht mit dem öffentlichen Verkehr, sondern mit Extrazügen erfolgen sollte, Das handhabt man seitens der SBB bei anderen mühsamen Horden wie Fussball-Fans auch nicht anders.

Via Lausanne und Aigle und schliesslich mit der Zahnradbahn hoch nach Troistorrents und weiter erreichte ich um halb elf Uhr morgens Champéry – wo ich mich gleich mal auf die Suche nach einem Bankomaten und einem Supermarkt machte. Schliesslich sind assortierte Snacks an langen Tagen an der Rennstrecke immer willkommen. Die Digitalanzeige bei der Apotheke erinnerte mich auch gleich daran, warum ich lange Hosen angezogen hatte: 9 Grad, es ist eine Weile her, dass ich eine solche Frische erleben durfte.

Weiter gings per Shuttle-Bus ins Zielgelände, wo ich mich zuerst einmal akkreditieren musste – und im Pressezentrum den Kaffee «nachleeren» konnte, den ich mir frühmorgens noch nicht gegönnt hatte. Und in besagtem Zielgelände gab es allerhand zu entdecken: So tauchte Dionys Frei mit einem Kumpel und einem ferngesteuerten Helikopter auf, an dem eine digitale Spiegelrefelx-Kamera befestigt war: Die Drohne des erfindungsreichen Fans, sozusagen.

Sehenswert war auch, wie die Bikes nach den Trainingsfahrten aussahen: Als der Regen aufgehört hatte, begann der Schlamm abzutrocknen. So entstand eine klebrige Pampe, die ratzfatz alles zusetzte – und nicht nur das Bike bleischwer werden liess, sondern in weniger steilen Pasaagen auch kaum noch ein Vorankommen zuliess. Bei Scott 11 wurde nachgewogen: Bis zu 7 Kilogramm Schlamm klebte an den Voltage-Bikes der Damen, bei Fabien Pédémanaud’s Gambler waren es wohl über zehn Kilo, denn die Waage schlug auf Tilt.

Bepackt: Zwischen 7 und deutlich über 10 Kilo Schlamm hing
nach einer Trainingsfahrt am Samstag Morgen an den Bikes.

Bis das Rennen der Damen um Viertal nach Eins nachmittags begann, hatte ich mich zusammen mit Suti an der Strecke postiert – an einem kleinen Zickzack-Weg in steilstem Gelände, wo man die Fahrerinnen ein ganze Weile beobachten und so einschätzen konnte. Die Unterschiede waren erheblich: Während die einen sich selbst ausbremsten und darauf im Schlamm stecken blieben, heizten die schnellsten Damen wie auf Schienen durch die Pampe – und nahmen dabei keinen Fuss aus der Pedale.

Photograph suti kraxelt im Steilhang durch den Gatsch, um einen externen Blitz zu positionieren.

Fürs Rennen der Herren begab ich mich in den Zielhang, wo ich prompt auf unzählige bekannte Gesichter traf: Ob aus Bern, Basel, Biel, Graubünden, der Innerschweiz, dem Freiburgischen oder dem Oberwallis, die gesamte Bike-Community der Schweiz hatte sich in Champéry eingefunden, um die Rückkehr des Spektakels entsprechend zu würdigen. Für die Fahrer war es ein spezielles Erlebnis: Nach dreieinhalb Minuten des Kampfs mit der Schwerkraft und um die Balance rasten sie aus dem dunklen Wald in den hellen Zielhang – und gleich über eine Kombination mehrerer wirklich grosser Sprünge.

Begleitet wurden sie von einem ohrenbetäubenden Lärm: Fans aus allen möglichen Ländern (um uns herum standen Briten, Aussies und Neuseeländer, dazu Italiener und Franzosen) gaben alles, mit Rätschen, Vuvuzelas, Druckluft-Hupen oder ihren Stimmbändern. Selbst hämmerte ich mit einem Stein auf den voluminösen Träger der Sesselbahn ein, was einen Heidenlärm machte. Eine Bekannte machte dasselbe mit einem Pedalschlüssel, den ich in einem der Fächer meines Rucksacks gefunden hatte. Kurzum: Die Stimmung war ausgelassen, und die Fahrer liessen sich anstecken.

Ein Blick den Zielhang hinunter - für ein Downhill-Rennen eine schöne Kulisse.

Wegen des Schlamms waren der Absprung wie die Landung jedoch heikel, um es vornehm auszudrücken: Der Regen hatte das Geläuf aufgeweicht, und die vielen Fahrer hinterliessen tiefe Rinnen, wie auf einer Motocross-Piste. Das hinderte einige Starter nicht daran, dem Publikum genau das zu bieten, wonach es verlangte: Eine Extraportion Show. Allen voran Cedric Gracia: Der Franzose gilt eh als das verrückte Huhn der Szene, und er wurde seinem Ruf gerecht: Über die beiden grössten Sprünge im Zielhang zog er zwei blitzsaubere Tabletop One-Footers – und das bei Renntempo. Auch Danny Hart und Brendan Fairclough zeigten eine beeindruckende Flugshow im Zielhang.

Wo man sich trifft - oder zumindest die Schrauber der Teams: Die Kärcher-Abspritzstation.

Kurz nach vier Uhr nachmittags war das Rennen gelaufen. Nur einer der 83 Finalisten musste mit dem Hubschrauber ins Krankenhaus geflogen werden. Zum Glück wurde dort beim Belgier Nico Vink «nur» eine Stauchung der Wirbelsäule festgestellt – er war bei der Landung nach einem Sprung über den Lenker und gegen eine Matte abgeflogen, kopfvoran. Und zwar leider schon im oberen Teil der Strecke, denn auch Vink hatte sich für die grossen Sprünge im Zielhang ein paar Tricks zurecht gelegt, kam aber leider nicht dazu, sie zu zeigen. An dieser Stelle nochmals gute Besserung an Nico Vink.

Selbst ist der Weltmeister: Statt sich lautstark über eine zickende Wasserpumpe aufzuregen, zeigte Steve Peat keinerlei Starallüren - und packte selbst an, um das Problem zu beheben.

Nachdem ich von einigen Beteiligten noch Stimmen zum Rennen eingeholt, mich von einer Menge Leute verabschiedet und im Pressezentrum noch ein Bierchen für den langen Heimweg eingepackt hatte, stieg ich in den Shuttlebus in Richtung Dorfzentrum. Und traf im Bus auf Hoshi Yoshida, einen der besten Sportphotographen im deutschsprachigen Raum, mit dem ich öfters zusammen arbeite. Immer wieder lustig, wie klein die Welt im Bikesport ist.

Ab in den Bach: Nick Beer, im Rennen als 15. schnellster Schweizer, wusch
seinen Helm nach jeder Trainingsfahrt im Bach neben dem Zielgelände.

Noch blieb mir eine Stunde bis zur Abreise, also gönnte ich mir noch ein Schinkensandwich und ein grosses Bier, plauderte noch kurz mit einer Horde Bike-Angefressener, die aus der gleichen Ecke wie ich stammen, und stieg dann um halb Acht Uhr wieder in die Zahnradbahn. Ab Lausanne konnte ich dann auch wieder lange genug sitzen bleiben, um am Laptop an Texten zu feilen und die Schnappschüsse des Tages aufzubereiten.

Abendstimmung mit Laptop und Nippon: Aufm Rückweg im Freiburgerland.

Kurz nach Mitternacht kam ich wieder in Winterthur an, und weil ich vom ganzen Tag noch zu aufgewühlt war, machte ich noch einen Abstecher in meine Stammkneipe, die ab heute für zwei Wochen Sommerpause macht. Und tatsächlich bekam ich noch ein Bier ausgeschenkt, super. Als einige um halb Zwei Uhr dann noch eine Kneipe weiter wollten, winkte ich aber dankend ab – schliesslich war ich schon seit über 20 Stunden auf den Beinen. Zeit, um mich hinzulegen, der Schlaf war verdient.

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