Dienstag, 4. März 2008

Wenn zwei sich streiten…

Jahr für Jahr bestimmt das Hickhack zwischen dem Weltradsport-Verband UCI und den wichtigsten Rennorganisatoren die Phase vor dem Start der Radsport-Saison in Europa. Die Vorwände für die Kontroverse wechseln, die tieferen Ursachen bleiben dieselben.

Das Erbe des einstigen Präsidenten des Weltradsport-Verbandes UCI, Hein Verbruggen, liegt der Radsportwelt noch immer schwer auf. Denn als sein «Abschiedsgeschenk» an den Sport installierte Verbruggen auf die Saison 2004 hin die ProTour – mit dem Ziel, den Radsport zu professionalisieren und zu globalisieren. Hinter diesen beiden wohlklingenden Worthülsen versteckte sich ein erhebliches Konfliktpotential: Denn die UCI wollte aus der zentralen Vermarktung der Übertragungsrechte und der Werbung im Umfeld von Radsport-Übertragungen eine Geldmaschine machen - und das ging eben nicht anders als auf Kosten der Rennorganisatoren.

Bis zur Geburt der ProTour war der Rennkalender zweigeteilt: Für die Spezialisten für schwere Eintagesrennen gab es den Worldcup, der die grossen Frühjahrs-Klassiker sowie Rennen wie die Classica San Sebastian, die Züri Metzgete (seligen Angedenks) und die Lombardei-Rundfahrt umfasste. Sprinter, Berg- und Zeitfahrer konzentrierten sich dagegen meist auf die Landesrundfahrten, gruppiert um das Dreigestirn von Tour de France, Giro d’Italia und Vuelta a Espagna.


Einst der Sepp Blatter des Radsports, noch immer einflussreich: Hein Verbruggen.


Die Installierung der ProTour durch die UCI führte nicht nur zu einem einheitlichen Rennkalender, sondern auch zur Entstehung eines Klassen-Systems auf der Ebene der Teams: Die zwanzig finanzstärksten Mannschaften bildeten ab 2004 die erste Liga, welche ein Recht auf einen Start an allen grossen Rennen haben sollte. Den kleineren Teams blieben nur noch sehr knapp bemessene Wildcards, um sich (und ihre Sponsoren) einem breiten Publikum in den Massenmedien zu präsentieren. Gerade diese kleineren Teams waren aber oft das Salz in der Radsport-Suppe, weil sie bei ihren jeweiligen Heimrennen durch eine äusserst engagierte Fahrweise auffielen – und weil sie als Lokalmatadoren die Identifikation der heimischen Publikums mit ihrem Rennen nochmals erhöhten.

Mit dem verbrieften Startrecht für die ProTour-Teams verloren die Organisatoren der grossen Landesrundfahrten aber ein wichtiges Instrument, um ihren Veranstaltungen ein wenig Lokalkolorit zu verleihen – und so dem heimischen Publikum wie den nationalen und regionalen Medien entgegen zu kommen. Was noch weit schwerer wog und wiegt: Weil die UCI bei der Vergabe von ProTour-Lizenzen nur auf ökonomische Parameter achtet, dagegen aber ethische oder juristische Kriterien nicht in die Kalkulation mit einbezieht, geht der Konfliktstoff so schnell nicht aus. Erst recht, seit im Zuge der Operacion Puerto und der Geständnisse von Jaksche, Sinkewitz und weiteren Telekom-Profis das systematisch betriebene Doping durch ganze Teams kaum noch zu leugnen ist.


Streitbarer Hüter der Reglemente oder verir(r)ter Elephant im Porzellanladen? Pat McQuaid

Die Kernfrage: Wer bestimmt, wer mitfahren darf?
Die Frage, wer denn nun die Oberhoheit bei der Zusammenstellung der Felder in den jeweiligen Rennen haben soll, ist die entscheidende – und da werden sich die UCI in Gestalt ihres neuen Präsidenten Pat McQuaid und einige der grössten Rennorganisatoren partout nicht einig. Im Vorjahr war es der Fall Unibet, der die Gemüter erhitzte: Weil der Hauptsponsor dieser in Schweden gemeldeten ProTour-Mannschaft ein privater Anbieter von Online-Wetten ist, darf er nicht überall in der EU werben – und der Auftritt professioneller Athleten in Sponsorentrikots während einer Live-Übertragung kann mit gutem Recht als Werbeauftritt betrachtet werden. Die Kontroverse um Tabak- und Alkoholwerbung in der Formel 1 lässt grüssen.

Dass die UCI dennoch und unbesehen der juristischen Komplikationen eine ProTour-Lizenz ausstellte und dafür die entsprechenden Gebühren kassierte, war meines Erachtens ein grosser, wenn nicht unverzeihlicher Fehler: Als Weltradsportverband hätte die UCI darauf hinweisen müssen, dass der betreffende Hauptsponsor in vielen, für den Radsport relevanten Märkten nicht auftreten darf – und konsequenterweise Unibet die Lizenz verweigern müssen. Die Kontroverse um Unibet schwelte während der Saison 2007 vor sich hin: Die UCI berief sich auf den ProTour-Status der Equipe, während ihr viele Rennveranstalter mit Verweis auf die nationalen Werbeverbote den Start verweigerten – selbst als Unibet unter dem Namen des Rad-Ausrüsters Canyon anzutreten bereit war.


Nicht die drei, sondern die sechs Fragzeichen: Das Unibet-Team im Frühjahr 2007.

Garantiertes Startrecht - auch für eine angeblich geläuterte Doping-Equipe?
Längst ging es nicht mehr um Unibet, sondern ums Prinzip. Dass die Equipe zum Teil mit eine Fragezeichen auf der Brust zu den Rennen antrat, verlieh der Kontroverse schon fast eine komische Note. Weniger komisch war dann der jüngste Anlass für das Hochkochen der Kontroverse: Die kasachische Staatsradler-Truppe Astana sorgte mit den dilettantischen bis unverfrorenen Dopingpraktiken ihres Stars Alexandre Vinokourov für den grossen Eklat an der Tour de France 2007. Die selbe Equipe, frisch aus den Trümmern des schwer durch den Fuentes-Skandal belasteten «Liberty Seguros»-Teams auferstanden, musste im Vorjahr auf einen Start verzichten, weil mehr als die Hälfte der Fahrer vorsorglich vom Rennen ausgeschlossen wurden. Für 2007 hatte Astana einen sauberen Neuanfang gelobt – und das eigene Wort auf spektakuläre Weise gebrochen.


Bietet der UCI die Stirn: Christian Prudhomme, Tour-Direktor

Auf die Saison 2008 hin übernahm mit Johan Bruyneel ein mit allen Wassern gewaschener (und gleichwohl nicht sauberer) Vertreter des alten, pharmazeutisch hochgezüchteten Radsports das Szepter bei Astana. Und brachte gleich einen Teil seines Discovery-Personals mit, darunter den ebenfalls mit Fuentes in Verbindung gebrachten Alberto Contador. Dass Bruyneel in solchen Kontakten keinerlei Probleme sieht, hatte er schon mit der versuchten Verpflichtung Ivan Bassos bewiesen – entgegen dem «Gentlemen’s agreement» unter den ProTour-Teams, keine sogenannten «Fuentes-Fahrer» zu verpflichten. Wie nicht anders zu erwarten, gelobte auch Bruyneel einen sauberen Neuanfang. Und jährlich grüsst das Murmeltier…

Von grossen Egos und zerschnittenen Tischtüchern
Schon in der Frage, ob es die UCI unterlassen hatte, den später aus dem Rennen genommenen Michael Rasmussen schon vor der Tour de France wegen falscher Angaben zu seinen Trainingsorten aus dem Verkehr zu ziehen, kam es im Sommer 2007 zu heftigem Knatsch zwischen den Organisatoren der Tour de France und dem UCI-Präsidenten Pat McQuaid. Dabei wurde so viel Geschirr zerschlagen, dass an eine einvernehmliche Kooperation kaum noch zu denken war. Die Rennorganisatoren um die ASO und Giro-Organisator RCS Sport machten in der Folge deutlich, dass sie sich künftig nicht mehr an das verbriefte Startrecht für alle ProTour-Equipen gebunden fühle, sondern selbst wieder mehr Einfluss auf die Zusammensetzung der Felder ihrer Rundfahrten nehmen wollten. Einerseits zwecks Vermeidung weiterer Negativ-Publicity durch Dopingskandale, andererseits zwecks Berücksichtigung von mehr nationalen Sportgruppen.

Die UCI stellte sich dieser Forderung gegenüber zunächst einmal taub. Und reagierte dann, indem sie die Radsport-Monumente Tour und Giro aus dem offiziellen ProTour-Kalender strich und sie in einen eigenen Kalender versetzte. Dadurch fühlten sich die betroffenen Organisatoren noch weit weniger an das Startrecht der ProTour-Equipen gebunden: Wenn man schon nicht mehr Teil der ProTour ist, warum sollte man dann deren Regeln einhalten, lautete die berechtigte Frage. Darauf hatte die UCI nur eine Antwort: Weil wir sonst mit WM- und Olympiaboykotten gegen die Fahrer drohen, die dennoch bei Rennen der ASO oder von RCS Sport starten. Von diesem Ukas des Radsportverbandes sind nun aber nicht «nur» die beiden wichtigsten Rundfahrten des Jahres betroffen, sondern auch ein ganzer Strauss von kleineren Rundfahrten wie Paris-Nizza oder der Tirreno-Adriatico sowie eine ganze Reihe von äusserst prestigeträchtigen Eintagesrennen.

Die Teams zwischen Hammer und Amboss
Vor allem aber kommt nun eine dritte Gruppe von Akteuren ins Spiel: Die Teams selber. Denn für den Fall, dass diese dennoch an den «geächteten Rennen» von ASO und RCS teilzunehmen wagen, droht die UCI nun mit weit reichenden Konsequenzen. Und hoffte wohl auf eine Solidarisierung der ProTour-Teams mit Astana – schliesslich dürften auch die anderen Teams kaum weniger Doping-Dreck am Stecken haben, sondern nur geschickter vorgehen. Zunächst sah es auch so aus, als ob sich zumindest ein Teil der Teams hinter Astana stellen würde. Als es hart auf hart kam, war es mit der vermeintlichen Solidarität aber rasch vorbei: Auch die Vereinigung der Sportgruppen stellte sich gegen die UCI, weil schlicht zu viele hochrangige Rennen auf dem Spiel stehen –eine «Tour Down Under» ist nun einmal kein valabler Ersatz für Tour, Giro, Paris-Roubaix und Konsorten.

Dennoch gab die UCI nicht klein bei. Nun zielt der Weltradsportverband statt auf die Teams auf die einzelnen Fahrer - und stellt ihnen für den Fall eines Starts bei einem illegalen Rennen der ASO neben 6 Monaten Sperre und der Streichung aller ProTour-Punkte auch den Ausschluss von den Weltmeisterschaften und den Olympischen Spielen in Aussicht. Die neusten Nachrichten zu den Aufgeboten für Paris-Nizza zeigen, dass die Drohungen der UCI ihre Wirkung haben: So will «La Française des Jeux» ohne ihren derzeitigen Top-Fahrer Philippe Gilbert antreten, und auch das «Team High Road» und «Gerolsteiner» wollen Linus Gerdemann und Markus Fothen lieber am Tirreno-Adriatico antreten lassen. Den so aufgebauten Druck kommentiert Gerolsteiner-Teamchef Hans-Michael Holczer mit der Aussage: «Wir können wählen zwischen Vierteilen und Hängen.»

Somit hätte die UCI einen Pyrrhus-Sieg erzielt: Der sportliche Wert von Paris-Nizza wäre deutlich reduziert, allerdings auf Kosten nochmals vertiefter Gräben. Ob das Vorgehen des Weltradsportverbandes Sinn macht und im Sinne des Radsports ist, muss dringend bezweifelt werden. Immerhin hat Pat McQuaid mit seiner Vorgehensweise erreicht, dass Doping nicht mehr das Thema Nummer Eins in Bezug auf den Radsport ist. Und dass sich die ASO als Vorreiterin im Kampf gegen Doping inszenieren kann, obwohl es gerade die Dominanz der Tour de France ist, welche den Griff in den Arzneischrank an genau diesem Rennen so attraktiv macht.

Ausblick: Wie gehts weiter? Und mit wem?
Eine Lösung dürfte mit den derzeitigen Akteuren kaum zu finden sein – zu festgefahren sind die Fronten. Bis es wieder um das Wohl des Radsports und nicht nur um das Prestige und die Gesichtswahrung einiger Herrschaften geht, wird wohl noch so manches Geschirr zerschlagen.
Und irgendwann wird man sich an einem runden Tisch zusammen setzen, um die Spielregeln grundlegend zu revidieren. Denn dass ein Verband die Regeln bestimmt, ohne ein Ohr für die Wünsche und Bedürfnisse der Rennorganisatoren zu haben, kann auf Dauer nicht gut gehen.

Wer das unternehmerische Risiko trägt, will auch bei der Ausgestaltung der Rahmenbedingungen mitreden. McQuaid täte darum gut daran, seine Trotzhaltung aufzugeben – oder noch besser sein Amt. Denn seit bekannt wurde, dass er selbst 1976 unter falschem Namen und unter Umgehung der Boykottbestimmungen des IOC im Apartheidsstaat Südafrika an Radrennen teilgenommen hat, ist es um seine Glaubwürdigkeit als Hüter der Reglemente ohnehin geschehen.

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